Wie man „jemand um die Ecke bringt“
SZ - 15.06.2011
Stadtführung in Sprichwörtern
Rinteln (cok). Eine Stadtführung, die mit der Vergangenheit Rintelns zugleich auch die Herkunft von bekannten Sprichwörtern und Redewendungen beleuchtet, das ist mal eine besondere Idee, die die beiden Frauen vom „Weiberschnack“, Karin Gerhardt und Angelika Bödeker, entwickelten und am Samstag zur besten Unterhaltung der Gäste ihrer Führung umsetzten. Je nachdem, ob man vor der Kirche stand oder am Amtsgericht, nahe der ehemaligen Universität oder in einer der kleinen Gassen, holten sie Sprüche hervor und erzählten Geschichten, die dahinterstecken.
„Stadtluft macht frei“, so begann es gleich am Nachtwächterdenkmal. Der Spruch bedeutet heute unter anderem, dass Teenager aus der Provinz Ungebundenheit erst in der Großstadt genießen können. Im Mittelalter besagte er: Entflohene Leibeigene, denen es gelang, sich ein Jahr lang innerhalb städtischer Mauern aufzuhalten, wurden zu freien Bürgern erklärt. Es sei denn, sie hätten den Teufel, über den man nicht sprechen durfte, „an die Wand gemalt“ und damit trotzdem Unglück heraufbeschworen. Dann wurden sie vielleicht verhaftet und konnten nur flehen: „Spann mich nicht auf die Folter!“ Das sagen wir, wenn jemand die Preisgabe eines Geheimnisses allzu lange verzögert. Damals aber, zumal, wenn man der Hexerei verdächtigt wurde, war das „Auf-die-Folter-spannen“ eine ganz konkrete Methode der „peinlichen Befragung“ durch die Henkersknechte.
Manchmal konnte ein Beschuldigter die „Scharte auswetzen“, so, wie man eine beschädigte Sense mit dem Wetzstein wieder in Ordnung bringt, und einfache Wiedergutmachung leisten. Oder er wurde, wie der entflohene Mörder Johann Gottlieb Seidenfaden, „um die Ecke gebracht“. Das heißt nicht, dass Straßenräuber ihn entführten und in einer dunklen Ecke ermordeten, sondern dass er mit dem Schwert getötet wurde. „Ecke“ nannte man nämlich die Schneide einer Waffe, und um die Ecke gebracht, ist einer, dessen Körper sich dann durchgetrennt rechts und links neben der Schneide wiederfindet.
Nicht immer ging es um so martialische Sprüche, auch wenn man vor dem alten Stadtgefängnis am Marktplatz erfuhr, dass die „Schwedischen Gardinen“, hinter die man Verbrecher setzte, ihren Namen von dem aus Schweden importierten Stahl für die Gitterstäbe erhielten; dass eine Sache, die „Hand und Fuß“ hat, als solide gelten darf, anders als ein verbrecherischer Ritter, der zur Strafe die rechte Hand und den linken Fuß opfern musste, damit er niemals mehr ein Schwert führen oder ein Pferd besteigen könnte; oder dass man ein „Schlitzohr“ war, weil einem zur Strafe der Ohrring, das Zeichen einer Gildenzugehörigkeit, herausgerissen wurde und die typische Narbe hinterließ.
Die beiden Stadtführerinnen konnten auch erklären, woher der Ausdruck „steinreich“ stammt. Das war an der Nikolaikirche, wo zum Teil alte Grabsteine als Teil des Mauerwerkes zu entdecken sind. Steine, zumal der Obernkirchner Sandstein, waren wertvoll und wurden niemals verschwendet. Wer genug davon kaufen konnte, um sich ein Steinhaus zu bauen, war eben „steinreich. Und als „stinkreich“ galt, wer es sich leisten konnte, eine Grabstelle direkt in der Kirche zu bezahlen, was, nun ja, manchmal für recht unangenehme Gerüche im Kirchenschiff sorgte. Der Friedhof rings um die Kirche hieß übrigens nicht deshalb so, weil man dort seinen Frieden fände, sondern schlicht, weil es sich um einen eingefriedeten Platz handelte.
Je länger die Stadtwanderung von Ort zu Ort führte, desto bewusster wurde den Gästen, wie sehr sich Sprichwörter, deren kommunikative Bedeutung wir sehr wohl kennen, über deren konkreten Sinn wir aber kaum nachdenken, auf etwas Handgreifliches, ganz Reales beziehen, auf Geschichten oft, die bereits verloren gegangen sind. Am ehemaligen Standort von Rintelns erster Tankstelle kam so eine Geschichte wieder zum Vorschein. „Dasselbe in Grün“ könnte auf gar keinen Fall auch „dasselbe in Rot“ sein. Der Spruch entstand nämlich, als die Autofirma Opel im Jahr 1924 das Model „Laubfrosch“ herausbrachte, das sich bis auf die grüne Farbe als exakte Kopie des gelben Citroën 5CV erwies – „dasselbe in Grün“ eben.
Bis zum Prinzenhof zog sich der lehrreiche Stadtspaziergang hin, viele Redewendungen erschienen der Gruppe unterwegs in überraschend neuem Licht, bis sich die beiden unterhaltsamen Stadtführerinnen „aus dem Staub“ machten, nicht ohne auch diesen Spruch zu erläutern: Im Ritterturnier, wenn durch Pferde und Reiter viel Staub aufgewirbelt wurde, nutzte so mancher diesen Umstand, um sich heimlich dem Kampfgeschehen zu entziehen. Karin Gerhardt allerdings und Kollegin Angelika Bödecker werden wiederkommen. Ihre ungewöhnliche Stadtführung war ein solcher Erfolg, dass sie ab jetzt zu ihrem regelmäßigen Programm gehört.