Meinem Mann schmeckt das Bier trotzdem!

SZ - 23.07.2012

Als Henkersfrau "Anna" berichtet Angelika Bödecker über den Berufsstand ihres Mannes.

Der Henker saß im Ratskeller allein / Spannende Stadtführung mit Henkersfrau „Anna

Rinteln (cok). Einen Henker heiraten – keine schöne Vorstellung, möchte man meinen. Angelika Bödecker aber belehrt die Leute eines Besseren. Wenn sie als Henkersfrau „Anna“ Stadtführungen macht und dabei vom Henker Heinrich, „was mein Mann ist“, erzählt, kommt rüber, dass sie es mit ihm ganz gut getroffen hat: Sicherer Job, Bezahlung durch die Stadt, lukrative Nebenverdienste, und außerdem das Gefühl, auf der Seite der Gerechtigkeit zu stehen.

Ja, der Henker übt einen „unreinen“ Beruf aus, er lebt mit seiner Familie am Stadtrand nahe der Mauer. Da, wo auch die „Freifrauen“, also die Huren hausen, und wenn er ein Bier trinken will, dann darf er sich, in seinen leuchtend roten Mantel gekleidet, nicht unter die anderen Gäste im Ratskeller mischen, sondern muss sich an ein ihm reserviertes Tischchen setzen, allein. „Na und“, sagt Henkersfrau Anna trotzig: „Meinem Mann schmeckt das Bier trotzdem!“ Mit einer Gruppe von Stadtführungsgästen steht sie vorm Rathaus und weist mit dem Finger nach oben: „Dort drinnen ist das Zimmer für die ’peinlichen Befragungen‘“.

Ein bisschen gruseln tut es die Leute da schon. Im Rathaus, mitten in der Stadt, wurde gefoltert? Angelika Bödecker hebt jetzt aber nicht auf Horrorgeschichten von leidenden, gequälten Menschen ab. Sie erklärt – und das tut sie auch, damit „Anna“ den Beruf ihres Mannes rechtfertigen kann – dass die Gerichtsbarkeit im 17. Jahrhundert durchaus ihre begründete Ordnung hatte. Es durfte keine willkürlichen Verurteilungen geben, Beweise mussten her, und die „Königin der Beweise“, das war ein Geständnis. „Wer aber gesteht schon freiwillig seine bösen Taten“, so fragt sie in der Rolle der Anna.

Zunächst gab es Vernehmungen mit Zeugen, das Protokoll der Verhandlung wurde an die Juristen der damaligen Universität „Ernestina“ geschickt, und erst wenn man dort zur Auffassung kam, eine Anklage sei berechtigt, rief man den Henker, der dem Delinquenten dann in aller Ruhe das „Peinliche-Befragungs-Zimmer“ zeigte, mit all den Gerätschaften, die das Gestehen erleichtern sollten. Oft gab schon nach, wer auch nur die Daumenschrauben erblickte. „Aber selbst, wenn mein Mann die Folter einsetzen muss, das ist immer noch besser, als wenn ein ungeständiger Bösewicht später in die Hölle kommt“, erklärt sie. „Das sagt auch die Kirche! Urteil und Strafe ist in den Augen Gottes eine Sühne. Eigentlich ist Henker-Sein gar kein unreiner Beruf.“

Von der Kirche, wo der Henker nur ganz hinten einen Stehplatz besitzt, geht es zum Münchhausenhof des Hilmar von Münchhausen, der sich sein prächtiges Anwesen leisten konnte, weil er ein privates Söldnerheer vermietete, und schließlich zum Kollegienplatz. Auf dem Weg erfährt man, wie eine Henkersfamilie sich üblicherweise ihren Platz in der Stadt eroberte, sei es, weil der Henker auch als Arzt tätig war, oder als Zimmermann, musste er doch Galgen bauen können. Sei es, weil die Henker in manchen Städten eine regelrechte Dynastie gründeten, da sie ihren Beruf, der sorgfältig erlernt wurde, an ihre Söhne vererbten.

Menschen, die er durch das Schwert hinrichtete, durften trotzdem noch ein ehrenvolles Begräbnis erhalten. Arme „Galgenvögel“ aber verscharrte man vor der Stadt. Dort konnten sie gemeinsam mit dem Henker ruhen, denn wenn dieser auch der Gerechtigkeit diente, so gönnte man seinem toten Körper keinen Friedhofsplatz innerhalb der Stadtmauern.